Habe ich noch Urlaubsanspruch aus dem letztem Jahr?
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Wer stets frühzeitig im Kalenderjahr seinen gesamten Jahresurlaub verplant, für den hat der folgende Beitrag voraussichtlich im persönlichen Bereich wenig Relevanz. Für alle andern kann sich die Frage stellen, was mit nicht genommenen Urlaubstagen passiert. Hier gibt es verschiedene Fallkonstellationen zu unterscheiden. Insbesondere dann, wenn Urlaub über Jahre hinweg nicht beansprucht wird und der jeweilige Arbeitgeber auch nicht hierauf hinwirkt, wird es besonders interessant. Neben einer kurzen Darstellung der grundsätzlichen rechtlichen Lage sollen folgend drei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 22.09.2022 (Az.: C-518/20, C-727/20 und C-120/21) dargestellt werden. Zudem erfolgt ein Hinweis auf die aktuellsten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zum Thema Urlaub.
Bundesgesetzliche Regelungen zum Urlaubsanspruch
Die Grundlage für die Bestimmung von Urlaubsansprüchen von Arbeitnehmer:innen bildet das deutsche Bundesurlaubsgesetz (BUrlG). Hier ist etwa in § 3 Abs. 1 BUrlG der jährliche Mindesturlaubsanspruch von 24 Werktagen geregelt, wobei der Gesetzgeber jedoch von einer Sechs-Tage-Woche ausgeht. Der gesetzliche Mindesturlaub beträgt im Ergebnis jeweils vier Wochen, bei der üblicheren Fünf-Tage-Woche also 20 Werktage. Insbesondere durch tarif- oder arbeitsvertragliche Regelungen kann der jährliche Urlaubsanspruch noch weiter steigen, ebenso im Falle einer Schwerbehinderung durch den entsprechenden gesetzlichen Zusatzurlaub.
Maßgeblich richtet sich die Thematik des Verfalls von Urlaub nach § 7 BUrlG. Absatz 3 triff dabei im Wortlaut im Wesentlichen die folgenden Bestimmungen:
„(3) Der Urlaub muß im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muß der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden …“
Das Bundesurlaubsgesetz kann also vom Wortlaut her so verstanden werden, dass eine Übertragung nur in Ausnahmefällen möglich ist und spätestens ab dem 31.03. des Folgejahrs alle Urlaubsansprüche restlos verfallen.
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
Der EuGH lässt eine solche strikte Auslegung nicht zu. Mit seiner Rechtsprechung – zuletzt durch die folgend darzustellenden Urteile – hat er verdeutlicht, dass ein Urlaubsverfall nicht so einfach erfolgen kann.
Urlaub Langzeiterkrankter
Insbesondere in Hinblick auf langzeiterkrankte Arbeitnehmer:innen stellt sich oft die Frage, wie mit deren Urlaubsansprüchen umzugehen ist. Der EuGH stellt hierzu unumwunden fest, dass langfristig arbeitsunfähige Arbeitnehmer:innen mit solchen, die im jeweiligen Bezugszeitraum tatsächlich gearbeitet haben, gleichzustellen sind. Eine lange Arbeitsunfähigkeit hat demnach keinen Einfluss darauf, in welcher Höhe gesetzlicher Mindesturlaub generiert wird, denn Arbeitnehmer:innen sind für diesen Umstand nicht verantwortlich zu machen.
Ein Verfall von Urlaub ist bei Langzeiterkrankten laut EuGH trotzdem möglich, jedoch frühestens 15 Monate nach Ende des jeweiligen Urlaubsjahrs, also zum 31.03. des jeweils zweiten Folgejahrs. Damit sollen Arbeitgeber vor den negativen Folgen einer unbegrenzten Ansammlung von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub geschützt werden. Im Ergebnis wird § 7 Abs. 3 BUrlG hierdurch in zeitlicher Hinsicht um ein Jahr angepasst.
Wie ist die Situation jedoch zu bewerten, wenn Arbeitnehmer:innen (wie in den meisten Fällen) im laufenden Kalenderjahr arbeitsunfähig werden und zudem bereits zuvor entstandene Urlaubstage nicht in Anspruch genommen haben? Das Bundesarbeitsgericht hat genau diese Fragestellung dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt. Anknüpfungspunkt war der Fall eines Arbeitnehmers, der von Januar bis November 2014 seiner Arbeit nachging und ab 01.12.2014 bis August 2019 erkrankte. Angesichts der bisherigen unionsrechtliche Rechtsprechung wäre ein Verfall der zwischen Januar bis November 2014 entstandenen Urlaubsansprüche nach 15 Monaten denkbar gewesen, also zum 31.03.2016.
Der EuGH stellte aber am 22.09.2022 klar:
Arbeitgeber müssen Arbeitnehmer:innen in die Lage versetzen, ihren Urlaubsanspruch auch tatsächlich wahrnehmen zu können. Arbeitgeber müssen zur Inanspruchnahme des Urlaubs auffordern und darauf hinweisen. Werden also Arbeitnehmer, die im Laufe des Jahres langfristig erkranken, zu Beginn des Kalenderjahrs nicht ausdrücklich auf ihren bestehenden Jahresurlaub hingewiesen und zur Inanspruchnahme desselben aufgefordert, verfallen vor Krankheitsbeginn entstandene Urlaubstage nicht am 31.03. des zweiten Folgejahrs.
Dies erscheint nachvollziehbar, denn diese in begrenztem Maße vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entstandenen Urlaubsansprüche führen nicht zu einer unbegrenzten Ansammlung von Urlaub, vor der Arbeitgeber geschützt werden sollen. Ein automatischer Verfall nach 15 Monaten ist daher nicht notwendig. Das BAG wendete diese Vorgaben mit Urteil vom 20.12.2022 (9 AZR 245/19) an und kam zum Ergebnis, dass mangels notwendiger Hinweise und Aufforderungen des Arbeitgebers in der Zeit von Januar bis November 2014 der Urlaub des langzeiterkrankten Arbeitnehmers über den 31.03.2016 hinaus bestand und nicht verfallen war.
Verjährung von Urlaubsansprüchen?
Der Europäische Gerichtshof setzte sich am 22.09.2022 auch mit der vom BAG vorgelegten Frage auseinander, inwiefern Urlaubsansprüche verjähren können. So sieht § 195 BGB vor, dass nach nationalem Recht Ansprüche regelmäßig nach drei Jahren verjähren und damit eine Erfüllung durch den jeweiligen Vertragspartner verweigert werden kann. Diese Regelverjährung findet auch im Arbeitsrecht Anwendung.
Im entschiedenen Fall argumentierte hiermit der Arbeitgeber. Vor mehr als drei Jahren entstandene Urlaubsansprüche seien verjährt.
Auch dies ließ der EuGH jedoch nicht so einfach gelten. Er stellte klar, dass wie auch hinsichtlich des Verfalls von Urlaubsansprüchen eine Verjährung nur dann eintreten könne, wenn der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer:innen in die Lage versetzt, ihren Urlaubsanspruch auch tatsächlich wahrnehmen zu können. Wieder greift die Hinweis- und Aufforderungspflicht des Arbeitgebers.
Das Gericht weist darauf hin, dass Arbeitnehmer:innen im Rahmen des Arbeitsverhältnisses als schwächere Partei anzusehen sind und damit die Verantwortung zur tatsächlichen Wahrnehmung von Urlaub nicht vollständig auf sie abgewälzt werden darf. Arbeitgeber, die über Jahre hinweg nicht auf die Inanspruchnahme von Urlaub hinweisen und sich dann auf Verjährungsregelungen stützen, tun allerdings genau das. Arbeitgeber können sich nur dann auf eine Verjährung von Urlaub berufen, wenn sie ihren Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nachgekommen sind. Dies hatte der Arbeitgeber im vom EuGH bewerteten Fall nicht beachtet, was so auch vom Bundesarbeitsgericht umgesetzt wurde (Urteil vom 20.12.2022 – 9 AZR 266/20).
Behalten ausscheidende Arbeitnehmer ihre Urlaubsansprüche für immer?
Die Rechtsprechung des EuGH sowie die Bestätigung durch das BAG im Dezember 2022 sorgten unter Juristen für Verunsicherung in Hinblick auf die Behandlung beendeter Arbeitsverhältnisse. Würden die höchstrichterlichen Entscheidungen dazu führen, dass Arbeitnehmer:innen, deren Arbeitsverhältnis endete und die während ihrer Beschäftigung nicht zur Inanspruchnahme ihres Urlaubs aufgefordert wurden, noch viele Jahre nach Beendigung eine Urlaubsabgeltung verlangen könnten?
Die beschriebene Verunsicherung hielt nicht lange an, denn das BAG lieferte schon durch Urteil vom 31.01.2023 (Az. 9 AZR 456/20) die Antwort auf die gestellte Frage. Diesmal ist das Gericht arbeitgeberfreundlicher: Eine Verjährung erfolgt demnach nach den üblichen Verjährungsregelungen, zeitlich wird an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Fälligkeitszeitpunkt angeknüpft. Eine Geltendmachung ist also nur bis drei Jahre nach Ende des Beendigungsjahres möglich.
Aufforderungs- und Hinweispflichten spielen in dieser Konstellation keine Rolle, denn laut BAG findet durch die Beendigung eine zeitliche Zäsur statt. Ab diesem Zeitpunkt ist der ehemalige Arbeitnehmer nicht mehr in einer strukturell schwächeren Stellung, die besondere Schutzbedürftigkeit endet. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist zudem ein rein finanzieller Kompensationsanspruch, der zwingend zu beachtende Erholungszweck des Urlaubsanspruchs verliert seine Wirkkraft.
Fazit
Mit seinen Entscheidungen vom 22.09.2022 führt der Europäische Gerichtshof seine bisherige Rechtsprechung zum Urlaubsverfall in zusammenpassender Weise fort. Ein Verfall – oder eine Verjährung – ist nur innerhalb enger Grenzen möglich. Überall dort, wo Arbeitgeber auf eine Inanspruchnahme von Urlaub hinwirken können, werden sie auch in die Pflicht genommen. Diese Grundsätze wurden auch vom Bundesarbeitsgericht durch seine Entscheidungen vom 20.12.2022 (9 AZR 245/19; 9 AZR 266/20) übernommen.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die mittlerweile nur noch als irreführend anzusehende Regelung des § 7 Abs. 3 BUrlG nicht angepasst werden sollte. Diese entspricht vor dem Hintergrund der vorrangigen, unionsrechtlichen Regelungen nicht mehr dem anzuwendenden Recht. Gesetze sollten nicht nur Juristen, die sich mit aktuellen, höchstrichterlichen Entscheidungen auskennen, bei der rechtlichen Bewertung von Fragestellungen weiterhelfen.
Völlig schrankenlos wirken die Aufforderungs- und Hinweispflichten des Arbeitgebers zudem nicht. Dies tritt insbesondere im Falle einer Urlaubsabgeltung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses hervor.
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