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Wenn ich als Arbeitnehmer beweisen will, dass es sich bei meiner Erkrankung nicht um eine Folgeerkrankung handelt, muss ich dann meinen Arzt von der Schweigepflicht entbinden? Oder darlegen welche Beschwerden genau Auswirkungen auf meine Arbeitsunfähigkeit haben?
Mit diesen Fragen hat sich kürzlich auch das Bundesarbeitsgericht in einem Urteil (BAG, Urteil vom 18.01.2023, 5 AZR 93/22) beschäftigt. Und das wollen wir heute gemeinsam mal genauer unter die Lupe nehmen.
Der Fall
Dazu schauen wir uns wie immer zuerst den Fall an. Worüber wurde also genau gestritten? Ein in der Gepäckabfertigung am Flughafen tätiger Arbeitnehmer war in den Jahren 2019 und 2020 immer wieder in erheblichem Umfang arbeitsunfähig erkrankt. Im Zeitraum zwischen Ende August bis Ende Dezember 2019 war er an 68 Tagen erkrankt und zwischen Januar und August 2020 erneut an 42 Tagen. Zunächst leistete der Arbeitgeber Entgeltfortzahlung. Allerdings verweigerte er diese dann wegen einer Krankschreibung, die der Arbeitnehmer für einige folgende Tage einreichte.
Er ließ sich nicht dadurch beirren, dass die Krankschreibung ausweislich eine „Erstbescheinigung“ war. Also eine Krankschreibung durch einen Arzt ohne die Kenntnis früherer Erkrankungen, der den Patienten daher erstmalig aufgrund einer bestimmten Diagnose krankschreibt. Als der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung verweigerte, ging er also davon aus, dass es sich stattdessen um eine Folgeerkrankung handelte.
Und dass, obwohl die Krankenkasse auf Anfrage zwar bestätigte, dass es sich nach ihren Unterlagen zwar um Krankheiten mit einem ursächlichen Zusammenhang handelte, dies jedoch ihrer Ansicht nach trotzdem einen Entgeltfortzahlungsanspruch zumindest teilweise nicht entfallen lasse.
Das Arbeitsgericht Frankfurt sah darin die Bestätigung eines Zahlungsanspruchs des Arbeitnehmers. Während das Hessische Landesarbeitsgericht auf die Berufung des Arbeitgebers hin gegen den Arbeitnehmer entscheid und ausführt, dass dieser die Krankheiten konkret hätte beschreiben müssen und seine Ärzte von der Schweigepflicht entbinden müssen. Was er unter Verweis auf den Datenschutz ablehnte. Anschließend landete der Fall beim Bundesarbeitsgericht.
Grundfall Folgeerkrankung
Aber schauen wir uns, bevor wir uns dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts widmen, auch noch den Entgeltfortzahlungsanspruch grundsätzlich an. Und dafür schauen wir mal in das Entgeltfortzahlungsgesetz oder auch kurz: EFZG, da geht es genau um diesen Anspruch (§ 3 EFZG) und dessen Voraussetzungen und Ausnahmen.
Wenn Sie als Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkranken und deswegen an der Arbeitsleistung verhindert sind, erhalten Sie vom Arbeitgeber maximal sechs Wochen Entgeltfortzahlung. Das bedeutet auch ohne zur Arbeit zu erscheinen, erhalten Sie also ihren normalen Lohn (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1).
Werden Sie aber aufgrund derselben Krankheit erneut an der Arbeitsleistung gehindert, verlieren sie diesen Anspruch. Zumindest dann, wenn sie nicht wenigstens sechs Monate nicht wegen eben dieser Krankheit ausgefallen sind (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 Nr.1).
Eine weitere Ausnahme sieht das Gesetz vor, wenn etwa chronisch Kranke die sechsmonatige Karenzzeit nicht überstehen, können Sie wegen dieser chronischen Krankheit erneut Entgeltfortzahlung verlangen, wenn der Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit mindestens zwölf Monate zurück liegt (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 2).
Die Beweislast dafür, dass es sich um eine Folgeerkrankung handelt und damit kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht, liegt nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts beim Arbeitgeber. Und genau da liegt das Problem, denn der kennt in der Regel nur die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, auf denen keine Angaben zu der Krankheit gemacht wird. Er ist also wiederum auf Informationen vom Arbeitnehmer angewiesen.
Das Urteil
Und jetzt kommen wir zum aktuellen Urteil – wie will das Bundesarbeitsgericht dieses Problem lösen, dass der Arbeitgeber Tatsachen beweisen soll, an die er ohne die Mitwirkung der Arbeitnehmer nicht kommt.
Im Kern hat das Gericht entscheiden, dass in einem solchen Prozess eine abgestufte Beweislast gilt. Und das heißt: zunächst muss der Arbeitnehmende vortragen, mithilfe der Atteste, dass keine Folgeerkrankung vorliegt. Ist der Arbeitgeber – wie hier – davon überzeugt, dass das nicht der Wahrheit entspricht, muss der Arbeitnehmende nun konkrete Tatsachen vortragen. Es muss also laienhaft unter Bezugnahme auf gesundheitliche Einschränkungen und Beschwerden dargelegt werden, welche Folgen sie auf die Arbeitsfähigkeit haben und gegebenenfalls Ärzte von der Schweigepflicht entbinden.
Diese umfassende Auskunftspflicht stellt zwar einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus dem Grundgesetz (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art 1 Abs. 1 GG) und das Recht zum Schutz der eigenen Gesundheitsdaten aus der DSGVO (Art. 9 Abs. 1) dar, doch diese Eingriffe sind gerechtfertigt.
Sowohl das Gericht als auch der Arbeitgeber haben keine anderen Möglichkeiten den Sachverhalt korrekt zu ermitteln und somit ein faires gerichtliches Verfahren nicht möglich. Und dieses Recht, nämlich in Gestalt der Garantie auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG), ist ebenfalls Teil des Grundgesetzes. Auch die DSGVO sieht ausdrücklich vor, dass die Verarbeitung von Gesundheitsdaten zur Geltendmachung von Rechtsansprüchen oder zur Verteidigung zugelassen ist.
Die Auskunftspflicht der Krankenkassen ist nicht rechtsverbindlich und daher auch nicht als milderes Mittel der Einschränkung denkbar.
Fazit
Wir denken, die Urteilsbegründung kann überzeugen. Die Gerichte müssen eindeutig prüfen können, ob der Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht oder nicht. Dazu muss der Arbeitnehmende im Rahmen der abgestuften Beweislast Gesundheitsdaten offenlegen – andere Rechte stehen dahinter zurück.
Das faire Verfahren vor Gericht gehört zu den Grundfesten unserer Demokratie und muss geschützt werden. Die weit verbreutete Ansicht, dass Arbeitgeber Krankheitsursachen nicht erfahren dürfen, ist daher nicht richtig.
Bei diesen oder anderen arbeitsrechtlichen Fragestellungen steht Ihnen unser Team jederzeit gerne zur Seite. Zögern Sie nicht und melden sich bei uns – dann kann Ihnen zu Ihrem Recht verholfen werden. Nutzen Sie dazu auch gerne unsere Online-Terminvergabe.