Betriebsräte haben in Deutschland eine besondere Position. Daher ist es umso wichtiger, dass sie ihren Aufgaben ordnungsgemäß und pflichtbewusst nachkommen. Doch was passiert eigentlich, wenn ein Betriebsratsmitglied seinen Pflichten nicht nachkommt? Kann ein Arbeitgeber einen Betriebsratsvorsitzenden kündigen? Und kann eine außerordentliche Kündigung ohne die Zustimmung des Betriebsrats erfolgen?
Das Urteil des LAG Niedersachsen vom 28.02.2024 – 13 TaBV 40/23 liefert uns die Antwort.
Sachverhalt
Die Arbeitgeberin des Falls war Betreiberin eines Amazon Logistikzentrums in Niedersachsen. Seit dem 30.05.2022 war der Betriebsratsvorsitzende freigestelltes Betriebsratsmitglied und Teil des 17-köpfigen Betriebsrats.
In dem Logistikzentrum wurde mit einem elektronischen Zeiterfassungssystem gearbeitet. Alle vollzeitbeschäftigten Mitarbeiter haben einen 8 Stunden Arbeitstag und eine 5 Tage Woche. Der Betriebsratsvorsitzende kann als freigestelltes Betriebsratsmitglied seine tägliche Betriebsratsarbeit schichtgebunden innerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit leisten.
Ist ein Betriebsratsmitglied bei einer bewilligten Schulung tätig, so wird ihm der entsprechende Zeitraum in das System eingebucht. Pro Tag der Schulung werden ihm 8 Stunden gutgeschrieben. Dieses Einbuchen übernimmt ein interner Mitarbeiter für das Betriebsratsmitglied, weil eine Einbuchung von außerhalb des Unternehmens nicht möglich ist. Bei dieser Einbuchung bleibt es, wenn ihm keine anderen Zeiten gemeldet werden.
Deutscher Betriebsrätetag
Der Deutschen Betriebsrätetag fand im Jahr 2022 statt. Hieran sollte der Betriebsratsvorsitzende im Rahmen seiner Tätigkeit als Betriebsrat für zwei Tage teilnehmen. Dies teilte der Betriebsratsvorsitzende seiner Arbeitgeberin mit. Mit einem entsprechenden Formular hat sie die Freistellung unter Fortzahlung des Entgeltes und die Teilnahme an der Veranstaltung bewilligt.
Am 07.11.2022 ist der Betriebsratsvorsitzende mit drei weiteren Betriebsräten in zwei verschiedenen Mietwagen zu dem Veranstaltungsort angereist. Den ersten Tag der Veranstaltung, 09.11.2022, besuchte der Betriebsratsvorsitzende wie vorgesehen. Am zweiten Tag erschien er jedoch nicht am Veranstaltungsort. Stattdessen verließ er die Stadt und traf sich in einer privaten Angelegenheit. Der Betriebsratsvorsitzende fuhr am 10.11.2022 zurück zum gemeinsamen Hotel und trat mit den Betriebsratskollegen zusammen die Heimreise an. Während der Abwesenheit von der Veranstaltung hat er insgesamt vier Mal mit einem der Betriebsratskollegen telefoniert. Bei diesen Gesprächen hat er nie erwähnt, dass er sich nicht bei der Veranstaltung befinde.
Gespräche über Fernbleiben des Betriebsratsvorsitzenden
In den folgenden Tagen tauschten sich mehrere Mitglieder des Betriebsrats über das Fernbleiben des Betriebsratsvorsitzenden bei der Veranstaltung aus. Daraufhin wanden sich die mitgereisten Betriebsratsmitglieder an den Manager K. und haben ihm die Ereignisse geschildert. Die Arbeitgeberin hat von dem Betriebsratsvorsitzende einen Arbeitszeitnachweis für die Zeit der Dienstreise angefordert. Dieser wurde durch den Betriebsratsvorsitzenden bewusst mit abweichenden Tatsachen ausgefüllt. Er gab darin an, dass er im gesamten Zeitraum Betriebsratsarbeit geleistet habe.
Der Manager K hat aufgrund eines Verdachts eines Arbeitszeitbetrugs mit dem Betriebsratsvorsitzende ein Gespräch geführt. Am selben Tag erfolgte eine schriftliche Anhörung durch die Arbeitgeberin.
Kündigung
Am 24.11.2022 hat die Arbeitgeberin bei dem Betriebsrat die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden beantragt. Zur Begründung führte sie auf, dass der Betriebsratsvorsitzende keine Betriebsratsarbeit wahrgenommen hat, obwohl er diese im Arbeitszeitnachweis angegeben hat. Somit kommt für sie ein Arbeitszeitbetrug in Betracht.
Tatsächlich hat der gesamte Betriebsrat einen Tag später beschlossen, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung nicht zu erteilen. Die Arbeitgeberin hat aber am 29.11.2022 beim Arbeitsgericht einen Antrag eingereicht und die Ersetzung der verweigerten Zustimmung beantragt.
Zustimmungsersetzungsantrag
Tatsächlich ist der Zustimmungsersetzungsantrag nach § 103 Abs. 2 KSchG statthaft und auch zulässig. Nach § 83 Abs. 3 ArbGG ist der Betriebsratsvorsitzende zu beteiligen. Durch die beabsichtigte Kündigung ist er selbst in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Stellung unmittelbar betroffen.
Ersetzung der Zustimmung für Kündigung
Die verweigerte Zustimmung des Betriebsrats ist gem. § 103 Abs. 2 S. 1 BetrVG i.V.m. § 15 KSchG zu ersetzen. Voraussetzung ist, dass die beabsichtige außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB muss dabei vorliegen. Dafür müssen alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden und die Interessen beider Vertragsteile abgewogen werden. Diese müssen derart gravierend sein, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
Zuerst muss geprüft werden, ob der Sachverhalt ohne die besonderen Umstände “an sich” geeignet ist, um den Ablauf nicht abzuwarten. Erst dann sollen die konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile untersucht werden. Fraglich ist dabei immer, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht. Der wichtige Grund für die Kündigung muss immer das Verhalten des Betriebsratsmitgliedes sein. Dieses muss sich auf eine Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis richten.
Der Betriebsratsvorsitzende hat bewusst einen unzutreffenden Arbeitszeitnachweis erstellt. Hierbei handelt es sich ausschließlich um eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten. Demnach war die verweigerte Zustimmung des Betriebsrats zu ersetzen.
Gründe des Gerichts
Das Gericht war der Ansicht, dass ein schuldhafter Verstoß gegen die sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebende Verpflichtung vorlag. Dies ist an sich geeignet eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund zu rechtfertigen. Die Arbeitgeberin müsse gerade auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit seiner Arbeitnehmer und Betriebsräte vertrauen können. Die Arbeitsvertragliche Pflicht zur korrekten Dokumentation der Arbeitszeit hat der Betriebsratsvorsitzende verletzt. Außerdem sind die Falschdokumentationen der Arbeitszeit vorsätzlich erfolgt. Der Arbeitgeberin ist in diesem Fall auch kein milderes Mittel in Form einer Abmahnung zumutbar.
Urteil zur Kündigung
Die Kammer hatte den Betriebsratsvorsitzenden angehört und zwei Zeugen vernommen. Sie ist hinreichend davon überzeugt, dass es einen Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten gab. Dieser rechtfertigt aufgrund der Fallumstände auch eine außerordentliche Kündigung.
Fazit
Die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung kann durch die Arbeitgeberin nach § 103 BetrVG wirksam ersetzt werden. Einer Zustimmung des Betriebsrats bedarf es aufgrund der schwerwiegenden Umstände nicht. Somit ist die außerordentliche Kündigung wirksam.
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