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Anrechnung böswillig unterlassenen Verdienstes – was ist das?
Heute soll es hier um die Anrechnung böswillig unterlassenen Verdienstes beim Annahmezug des Arbeitgebers nach unwirksamer Kündigung gehen. Klingt sperrig aber schauen wir uns das im Detail an.
Wenn der Arbeitgeber Ihnen kündigt, bekommen Sie nach Ablauf der Kündigungsfrist kein Gehalt mehr. Jetzt gehen Sie gerichtlich gegen die Kündigung vor. Dann besteht die Chance, dass Sie vor Gericht gewinnen und die Kündigung unwirksam ist. Gearbeitet haben Sie dann nicht mehr aber bekommen Sie dann nachträglich das Gehalt? Was ist mit der Anrechnung des Gehalts? Ja in der Regel ist das so! Schauen Sie mal in § 11 KSchG und § 615 BGB. Sie müssen sich hierbei aber anrechnen lassen, was sie hätten verdienen können, wenn sie es nicht böswillig unterlassen hätten, eine ihnen zumutbare Arbeit anzunehmen.
Durch den Wandel der Rechtsprechung gewinnt das Thema an Praxisrelevanz – deswegen schauen wir uns das jetzt genauer an.
Bisheriger Stand zur Anrechnung
Bisher hatten Arbeitnehmende gute Aussichten, wenn sie Annahmeverzug geltend machten (§ 615 Satz 1 BGB). Annahmeverzug beschreibt die Situation, dass sie dem Arbeitgeber ihre Arbeitsleistung zwar angeboten haben aber er sie eben nicht angenommen hat. Er befindet sich mit der Annahme ihrer Leistung in Verzug. Im Fall einer unwirksamen Kündigung geht er eben davon aus, dass das Arbeitsverhältnis bereits beendet wurde. Aber wie steht es um die Anrechnung?
Genau das hat sich in den letzten Jahren durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verändert. Diese Entwicklung und ihre Auswirkungen sollen bis zum neusten Urteil vom 29.03.23 hier skizziert werden.
Neue Entwicklungen
Der Beginn dieser Entwicklung wird im Urteil des BAG vom 27.05.2020 (5 AZR 387/19) gesehen. Hier wurde zunächst ein Auskunftsanspruch des Arbeitgebers angenommen, womit er über die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und des Jobcenters informiert wird, wenn der Einwand des böswilligen Unterlassens anderweitigen Erwerbs im Raum steht.
Mit dem Urteil des BAG vom 23.02.2021 (5 AZR 213/20) war klar die fehlende Zustimmung des Betriebsrates für eine anderweitige Beschäftigung des Arbeitnehmers, schließt böswilliges Unterlassen nicht unbedingt aus.
Im BAG-Urteil vom 19.05.2021 (5 AZR 420/20) befindet sich der Arbeitgeber nach dem Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses im Rahmen eines Betriebsübergangs im Annahmeverzug. Der Arbeitnehmer muss sich böswillig unterlassenen anderweitigen Erwerb anrechnen lassen. Voraussetzung ist, dass er das Angebot des Arbeitgebers, bei dem Erwerber die bisherige Tätigkeit zu unveränderten Arbeitsbedingungen fortzusetzen, nicht annimmt.
Nach dem BAG-Urteil vom 08.09.2021 (5 AZR 205/21) handelt ein Arbeitnehmer grundsätzlich nicht böswillig i.S.v. § 11 Nr. 2 KSchG, wenn er während des Kündigungsschutzprozesses auf einer Beschäftigung gemäß einem von ihm erstrittenen Weiterbeschäftigungsurteil beharrt und ein Angebot des Arbeitgebers auf Abschluss eines befristeten Prozessarbeitsverhältnisses ablehnt.
Nach dem BAG-Urteil vom 12.10.2022 (5 AZR 30/22) erfordert die Beurteilung böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienstes stets eine Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen, daher ist es grundsätzlich ausgeschlossen, einen einzelnen Umstand losgelöst von den sonstigen Umständen des Einzelfalls absolut gleich zu setzen.
Aktueller Sachverhalt
Jüngst hat sich das BAG in seinem Urteil vom 29.03.2023 (5 AZR 255/22) erneut mit dem Thema befasst. Hier lag der folgende Fall zu Grunde:
Der Arbeitnehmer war seit 2018 bei der Arbeitgeberin und verdiente 5.250,00 Euro brutto monatlich. Mit Schreiben vom 2.12.2019 erhielt er eine fristlose Änderungskündigung, mit dem ihm eine Tätigkeit gegen 3.750,00 Euro brutto monatlich angeboten wurde. In dem Kündigungsschreiben hieß es: „im Falle der Ablehnung der außerordentlichen Kündigung durch Sie oder im Falle der Annahme des folgenden Angebots erwarten wir Sie am 5.12.2019 zum Arbeitsantritt“.
Der Arbeitnehmer lehnte das Änderungsangebot ab und erschien auch nicht zur Arbeit. Daraufhin erhielt er mit Schreiben vom 14.12.2019 eine erneute Kündigung, und zwar: „außerordentlich zum 17.12.2019“. In dem Kündigungsschreiben hieß es: „im Falle der Ablehnung dieser außerordentlichen Kündigung“ erwarte sie den Arbeitnehmer „am 17.12.2019 zum Arbeitsantritt“. Dem leistete der Arbeitnehmer nicht Folge. Gerichtlich wurde rechtskräftig die Unwirksamkeit beider Kündigungen festgestellt. Die Arbeitgeberin zahlt für Dezember 2019 nur noch eine Vergütung von 765,14 Euro brutto. Der Arbeitnehmer trat erst zum 01.04.2020 ein neues Arbeitsverhältnis an.
Der Arbeitnehmer erhob Klage auf Zahlung seines Gehalts abzüglich des erhaltenen Arbeitslosengeldes bis zum Antritt der neuen Beschäftigung wegen Annahmeverzugs.
Er war der Meinung, eine Weiterbeschäftigung bei der sei ihm, nicht zuzumuten gewesen. Und der Meinung sei auch die Arbeitgeberin gewesen.
Dagegen hat die Arbeitgeberin gemeint, Annahmeverzug habe nicht bestanden, weil der Arbeitnehmer nicht bei ihr weitergearbeitet habe. Er sei auch selbst von der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung ausgegangen, weil er im Kündigungsschutzprozess einen Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung gestellt habe.
Aktuelle Entscheidung
Die Entscheidung wird in der Pressemitteilung des BAG wie folgt begründet:
Die Arbeitgeberin befand sich im Annahmeverzug. Ein Arbeitsangebot des Arbeitnehmers bedurfte es deswegen nicht, weil die Arbeitgeberin selbst von einer Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung ausging. Es besteht somit eine Vermutung dafür, dass das Angebot nicht ernstgemeint war. Zudem lässt die Ablehnung eines solchen „Angebots“ nicht auf einen fehlenden Leistungswillen des Arbeitnehmers schließen.
Der Arbeitnehmer musste sich keinen böswillig unterlassenen Verdienst anrechnen lassen. Ihm war eine Prozessbeschäftigung aufgrund der gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht zuzumuten.
Das ändert sich auch nicht dadurch, dass er im Prozess seine Weiterbeschäftigung beantragt hat. Dieser Antrag war für den Fall der Unwirksamkeit der Kündigungen gestellt. Nur wenn der Arbeitnehmer nach Obsiegen die Weiterbeschäftigung abgelehnt hätte, hätte er sich selbst widersprüchlich verhalten.
Bewertung der Anrechnung
Arbeitgeberseitig bewertet man die neue Entwicklung in der Rechtsprechung positiv und diskutiert darüber, wie man sich im Fall der Unwirksamkeit einer Kündigung gegen hohe Nachzahlungsforderungen wehren kann.
Aber die Einschätzung der Arbeitgeber sei nun klar im Vorteil schlägt fehl. So einfach ist das nicht: Wer das Thema ganzheitlich betrachtet und aufmerksam liest, wird feststellen, dass das Bundesarbeitsgericht nicht im Gegensatz zu seiner früheren Rechtsprechung nun den Arbeitgeber bevorteilen will. Vielmehr ist das Bundesarbeitsgericht erkennbar um einen Ausgleich der beiderseitigen schutzwürdigen Interessen bemüht. Und rückt die Entscheidung im Einzelfall weiter in den Vordergrund.
Nichtdestotrotz sind auch Arbeitnehmer gut beraten, ihr Vorgehen auf die neue Rechtsprechung einzustellen und auch die weitere Entwicklung im Blick zu behalten. Bei dieser aber auch allen anderen arbeitsrechtlichen Fragen – stehen wir Ihnen bundesweit zur Verfügung. Scheuen Sie sich nicht den Kontakt aufzunehmen! Nutzen Sie dazu auch unsere Online-Terminvergabe – innerhalb weniger Klicks stehen wir Ihnen zur Erstberatung zur Verfügung.
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