Recht auf Unerreichbarkeit

Habe ich das Recht auf Unerreichbarkeit in meiner Freizeit?

(!) Achtung (!) diese Entscheidung des Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat keinen Bestand mehr. In der nächsten Instanz hat das oberste Arbeitsgericht in Deutschland, nämlich das Bundesarbeitsgericht anders entschieden. Diese Entscheidung schauen wir uns in einem eigenen Artikel an, den Sie hier finden.  

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Schickt Ihnen Ihr Arbeitgeber manchmal SMS in Ihrer Freizeit, z.B. mit Dienstplanänderungen? Muss man darauf außerhalb der Arbeitszeit reagieren oder kann man sie bis zum Dienstbeginn getrost ignorieren?  Wie ist das mit der Freizeit und wie ist diese definiert? Muss ich in dieser Zeit für den Arbeitgeber für kurzfristige Dienstplanänderungen erreichbar sein oder steht mir die Freizeit zur freien Verfügung?
Genau mit dieser Frage hat sich das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein beschäftigt.

Recht auf Unerreichbarkeit – Sachverhalt am Beispiel eines Notfallsanitäters

Konkret ging es um einen Notfallsanitäter, der im Rettungsdienst tätig war. Kurzfristig kam es zu einer Dienstplanänderung und er sollte am nächsten Tag eine andere Schicht übernehmen, die früher begann. Am Tag zuvor wurde der Kläger für eine neue Schicht zur Mittagszeit eingeteilt. Der Arbeitgeber versuchte, den Kläger telefonisch zu erreichen, und schickte ihm anschließend eine SMS. Am nächsten Tag erschien der Kläger nicht zum Dienstbeginn um 6.00 Uhr. Es folgte eine Abmahnung.

Ein ähnlicher Vorfall wiederholte sich einige Monate später: Auch diesmal änderte der Arbeitgeber kurzfristig den Schichtplan und konnte den Kläger telefonisch nicht erreichen. Auch auf die folgende SMS reagierte er nicht und erschien am nächsten Morgen nicht zur Arbeit, da er nichts von der Änderung wusste. Diesmal wurde er nach einer einschlägigen Abmahnung wegen seines erneuten Fernbleibens abgemahnt. Gegen diese Abmahnung und die damit verbundene Kürzung seines Arbeitszeitkontos wehrte er sich gerichtlich und unterlag zunächst vor dem zuständigen Arbeitsgericht. Dieses sah kein Fehlverhalten des Arbeitgebers, insbesondere im Hinblick auf die Kurzfristigkeit der Dienstplanänderung.

Der Kläger gab sich damit nicht zufrieden und bekam in der nächsten Instanz Recht.

Urteil Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein

Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.09.2022 – 1 Sa 39 öD/22) sah in der kurzfristigen Einsatzplanung einen Fehler des Arbeitgebers und gab damit dem Kläger Recht, die Abmahnung musste aus der Personalakte entfernt werden. Das Gericht führt aus, das mit der Kenntnisnahme der Dienstplanänderungen eben erst zu dem ursprünglich geplanten Dienstbeginn und damit nach 6 Uhr morgens ausgegangen werden konnte.

Der Kläger sei gerade nicht verpflichtet während seiner Freizeit eine dienstliche SMS aufzurufen, um sich über seine in der Zwischenzeit geänderte Arbeitszeit zu informieren und damit zugleich seine Freizeit zu unterbrechen. Denn bei dem Lesen einer solchen Nachricht handele es sich, um Arbeitszeit, weil der Arbeitgeber mit der Änderung der Zeit und des Orts der zu verrichtenden Arbeit sein Direktionsrecht wahrnimmt. Das Gericht räumt ein, dass einem Arbeitnehmer in seiner Freizeit ein Recht auf Unerreichbarkeit zusteht.

Diese Freizeit würde sich gerade dadurch auszeichnen, nicht dem Arbeitgeber zur Verfügung zu stehen müssen und selbstbestimmt entscheiden zu können. In dieser Zeit wird ein Arbeitnehmer gerade nicht fremdnützig tätig und ist nicht Bestandteil einer fremdbestimmten arbeitsrechtlichen Organisationseinheit. Und man könne in der Freizeit eben machen, was man wolle, dazu gehöre auch die Entscheidung in Bezug auf alle dienstlichen Angelegenheiten unerreichbar zu sein. Es sagt weiter wörtlich:

„Es gehört zu den vornehmsten Persönlichkeitsrechten, dass ein Mensch selbst entscheidet, für wen er/sie in dieser Zeit erreichbar sein will oder nicht.“

Es geht neben dem Gesundheitsschutz dabei auch um die Wahrung des Persönlichkeitsrechts. Daher ist davon auszugehen, dass eine Pflicht zur Kenntnisnahme erst ab 7:30 Uhr bestand. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger nach seinem Kenntnisstand ursprünglich für den Folgetag eingeplant. Zu diesem Zeitpunkt war er verpflichtet seiner Arbeit nachzugehen und dazu gehört auch die in seiner Freizeit bei ihm eingegangen dienstlichen Nachrichten zu lesen. Zu diesem Zeitpunkt war hier die Anweisung zu einem Dienstantritt um 6 Uhr schon überholt und da eine andere Arbeitsleistung für den Tag nicht angeordnet wurde, lag kein Fehlverhalten des Klägers vor. Dem ist nichts weiter hinzuzufügen. Das Gericht hat den enormen Stellenwert der Freizeit und die Bedeutung für den Arbeitnehmer in aller Deutlichkeit ausgeführt.

Fazit

Was bedeutet das für Ihr Arbeitsverhältnis – aber auch für die Betriebsräte unter Ihnen? Für das Arbeitsverhältnis heißt das: Schauen Sie bitte genau in Ihren Arbeitsvertrag, was vereinbart ist und damit zu Ihren konkret geschuldeten Leistungen gehört und was nicht. Zum Beispiel auch, ob die Arbeitszeiten vor Schichtbeginn noch einmal kontrolliert werden müssen.

Für Betriebsräte ist es wichtig zu prüfen, was in einer Betriebsvereinbarung zur Schichtplanung vereinbart ist. Wenn hier Zeiten eingeräumt werden, die zwingend für die Kontrolle der Schichtpläne genutzt werden müssen, würde sich das oben genannte Ergebnis ändern. Bitte achten Sie immer darauf, dass trotz aller Kurzfristigkeit auch Schichtplanänderungen eine angemessene Vorlaufzeit haben. Andernfalls sollte mit der Möglichkeit der Rufbereitschaft gearbeitet werden, um auch kurzfristige Einsätze ohne Vorlaufzeit gewährleisten zu können.

Und immer daran denken: Freizeit und Erholung sind wichtige Bausteine für gesundes und leistungsfähiges Arbeiten. Vermischen sich Freizeit und Arbeit zu sehr, sind Ausfallerscheinungen wie Burnout und Co. nicht weit. Das nützt niemandem. Arbeitszeitrecht ist immer auch und vor allem Gesundheitsschutz. Und der darf nicht vernachlässigt werden.

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Ansgar F. Dittmar

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht Mediator (DAA), Wirtschaftsmediator
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