Keine Versetzung „innerorts“ sowie bei Einführung von Desk-Sharing

Keine Versetzung innerorts

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte sich Ende des Jahres 2021 (Beschluss vom 17.11.2021 – 7 ABR 18/20) mit einem Fall zu befassen, der sich in zweierlei Hinsicht mit dem Begriff der „Versetzung“ nach § 99 BetrVG auseinandersetzt. Im Ergebnis sah es die Voraussetzungen für ein Vorliegen dieser personellen Maßnahme in keinem Fall als erfüllt an. Der Arbeitgeber konnte den Arbeitsort der entsprechenden Mitarbeiter also ändern, ohne dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG ausgelöst wurde. Die Ausgangssituation sowie die Entscheidung des Gerichts stellen wir Ihnen im Folgenden vor:

Veränderung der Arbeitsbedingungen im konkreten Fall

Der Arbeitgeber unterhält einen Betrieb in Berlin. Dessen Sitz verlagerte er – innerhalb des Stadtgebiets – um etwa 12km. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln beträgt die Fahrtzeit zwischen altem und neuem Standort etwa eine Dreiviertelstunde – der räumliche Unterschied war demnach nicht unerheblich. Neben der örtlichen Veränderung veränderte sich auch die Bürosituation. Anstatt eines Großraumbüros und mehreren kleineren Büros galt es für die Mitarbeiter nunmehr, sich auf zwei Großraumbüros zu verteilen – jedoch mit einer weiteren Maßgabe: Der Arbeitgeber führte das sogenannte „Desk-Sharing“ ein.

Den einzelnen Arbeitnehmern waren also nicht mehr eigene, feste Arbeitsplätze zugewiesen. Vielmehr konnten die Arbeitsplätze fortan von Tag zu Tag grundsätzlich unterschiedlich belegt werden. Desk-Sharing geht üblicherweise Hand in Hand mit einer „Clean Desk Policy“. Dieser englische Begriff bedeutet schlechthin, dass Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz am Ende des Arbeitstages aufgeräumt und neutral gestaltet hinterlassen, so dass dieser am nächsten Tag problemlos von einer Kollegin oder einem Kollegen genutzt werden kann.

Der Versetzungsbegriff

Nun stellte sich der Betriebsrat in dem Fall die berechtigte Frage, ob der Arbeitgeber personelle Maßnahmen durchführte, ohne die Mitwirkungsrechte des Gremiums zu wahren. Denn § 99 Abs. 1 BetrVG sieht eindeutig vor, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat vor jeder Versetzung zu unterrichten hat! Bei einem Umzug des gesamten Betriebs und einem Umsturz der bestehenden Zuordnung zu festen Arbeitsplätzen musste § 99 BetrVG doch seine Wirkung entfalten… oder?

Dabei ist zunächst maßgeblich, was denn unter einer „Versetzung“ im Rechtssinne verstanden wird. Immerhin bietet hier das Gesetz selbst eine Definition. Nach § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ist eine Versetzung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne die

„Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet, oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist.“

Grundvoraussetzung ist also die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs. Danach ist zu prüfen, ob die zeitliche Komponente von einem Monat überschritten wird oder ob sich die Arbeitsbedingungen erheblich verändern.

Voraussetzungen erfüllt?

Der Umzug des gesamten Büros legte nahe, dass den Arbeitnehmern dauerhaft ein anderer Arbeitsbereich zugewiesen wurde und der Arbeitgeber also eine Vielzahl von Versetzungen angeordnet hatte.

Das sahen die Gerichte, einschließlich des BAG, jedoch anders. Am Arbeitsort, Berlin, habe sich nichts verändert. Dieser ist in derselben politischen Gemeinde verblieben. Dass die einzelnen Berliner Bezirke es flächenmäßig mit vielen politischen Gemeinden im Bundesgebiet aufnehmen können, beeindruckte das BAG nicht. Gleiches galt für die Verlegung um ein Dutzend Kilometer. Maßgeblich sieht die Rechtsprechung vielmehr die Verlegung des gesamten Betriebs an. Dadurch dass lediglich der räumliche Standort einer zusammenhängenden Einheit verlagert wurde, sei keiner anderer Arbeitsbereich zugewiesen worden. Die Arbeitnehmer seien genauso wie zuvor im Einsatz – nur eben an einem anderen Ort innerhalb von Berlin.

Das BAG maß auch der Umgestaltung der Bürosituation sowie der Einführung von Desk-Sharing keine Bedeutung dergestalt zu, dass von einer erheblichen Veränderungen der Arbeitsbedingungen gemäß § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG auszugehen sei. Dabei äußerte es recht knapp, alle Mitarbeiter hätten nun auch am neuen Standort einen Arbeitsplatz erhalten. Auch für Beschäftigte, die zuvor ihr eigenes Büro für sich hatten und nunmehr ihren Platz in Großraumbüros finden sollten, habe sich nichts erheblich verändert. Genauso führe das Desk-Sharing nicht dazu, dass die Tätigkeiten der Mitarbeiter sich nun als eine „andere“ erweise. An den Aufgaben, Verantwortungen, den Tätigkeiten selbst oder der Einordnung in den betrieblichen Ablauf des einzelnen Mitarbeiters verändere sich hierdurch nichts.

Fazit

Im Ergebnis scheiterte das Anliegen des Betriebsrats, im Rahmen der Standortverlagerung eine Mitwirkung nach § 99 Abs. 1 BetrVG zu erzwingen bereits am Versetzungsbegriff. Da der Arbeitgeber nicht gemäß § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG versetzte, musste der Betriebsrat auch nicht beteiligt werden, so das BAG.

Die Entscheidung erweist sich aus zweierlei Hinsicht als interessant. Zunächst tritt in ihr deutlich hervor, worauf es der Rechtsprechung ankommt, wenn entschieden werden muss, ob eine Versetzung vorliegt. In Hinblick auf eine Änderung des Arbeitsbereichs ist als genauso relevant wie das „Wo“ das „Wie“ zu bewerten. Bei Standortverlagerungen des Arbeitsplatzes sollte der räumliche Unterschied bedeutend sein und wohl als Mindestkriterium ein Wechsel in eine andere, politische Gemeinde erfolgen. Ebenso kann aber auch ohne oder ohne große räumliche Veränderung eine Versetzung erfolgen, solange sich die Arbeitsbedingungen erheblich verändern.

Zudem zeigt die Entscheidung auf, dass die Rechtsprechung in Hinblick auf Veränderungen, welche die Zuordnung zu bestimmten (hier: Schreibtisch-)Arbeitsplätzen angehen, wenig Rücksicht nimmt. Vorrangig wichtig scheint hierbei zu sein, dass die Mitarbeiter einen Ort haben, an dem sie ihre Arbeit verrichten können. Wer schon einmal in einem Großraumbüro gearbeitet hat, der könnte sich fragen, ob ein Wechsel von einem Einzelbüro in einen solchen Bereich womöglich doch so einiges an den Arbeitsbedingungen verändert. Das BAG jedenfalls geht davon aus, die Erheblichkeitsschwelle des § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG sei in diesem Zusammenhang noch nicht erreicht.

Sollten Sie sich als Betriebsratsmitglied oder Arbeitnehmer:in fragen, ob Ihr Arbeitgeber mit bestimmten Maßnahmen eine Versetzung bewirken könnte, Dann zögern Sie nicht und kontaktieren uns! Unser Beraterteam unterstützt sie hierbei gerne.
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Fabian Kornek

Rechtsanwalt
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